Zeltprojekt VEX LEG XI CPF
Bildliche Überlieferungen (Siegessäulen, Reliefs) liefern ein lebendiges Bild vom Aussehen von römischen Militärzelten. Leider sind nur wenige Fragmente erhalten geblieben, meist Reste aus Leder oder Zeltheringe aus Eisen (z. B. Valkenburg NL). Aus diesem Grund hat sich in der Reenactor-Szene fest eingebürgert, dass römische Zelte nur aus Leder bestehen konnten.
Bei der Rekonstruktion von solchen Zelten mussten wir aber feststellen, dass Lederzelte punkto Gewicht, Feuchtigkeit und Materialmenge grosse Nachteile mit sich bringen, die bei einem Stoffzelt in der Regel wegfallen.
Um Lederzelte dicht zu halten, braucht es einen grossen Aufwand. Saugt sich eine Lederzelt mit Wasser voll, muss das Zelt schnellst möglich getrocknet werden, da sonst Fäulnis auftreten kann und das Leder unwiederbringlich zerstört werden kann.
Bei unserem Rekonstruktionsversuch gehen wir von folgenden Überlegungen aus:
Ein nasses Lederzelt wiegt mehr als ein nasses Stoffzelt. Wenn man sich vor Augen hält, dass römische Legionäre jeden Tag marschiert sind und jeden Tag ein Lager aufgeschlagen haben, dann wären römische Legionäre im feucht-kalten Klima Britanniens oder Germaniens schnell an ihre Grenzen gestossen. Die Zelte wurden auf die Maultiere gepackt. Diese können mit bis zu 150/200 Kg belastet werden. Ein nasses Zelt aus Leder schöpft diese Kapazität bei weitem aus.
Für die Herstellung eines Zelts benötig man ca. 90 Häute. Würde man für eine Legion Lederzelte herstellen, müssten dafür zwischen 50-60’ooo Ziegenhäute verwendet werden. Bedenkt man, dass bis zu 30 Legionen im Einsatz waren, käme dies einer Eine Hekatombe gleich! Diese werden dann noch unnötigerweise in Rechtecke geschnitten, wodurch eine grosse Menge an Ausschuss entsteht. Bei Kuhhäuten sieht es nicht viel besser aus.
Noch nicht ganz geklärt bleibt die Frage nach den finanziellen Kosten die für oder gegen Lederzelte sprechen: War Leder in der Antike wirklich billiger als Stoff?
Warum finden sich dann ausschliesslich Lederfragmente, die mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit von Zelten stammen (siehe Valkenburg)? Der Grund ist einfach: Leder hält sich im Boden über Jahrhunderte besser, Stoff nicht.
Bildliche Darstellungen (z.B. an der Trajansäule) zeigen Faltenwürfe die nicht von Leder stammen können. Netzartige Strukturen über den Zelten der Trajansäule erinnern an Darstellungen von Segeln. Solche Netze hätten das Einreissen der Stoffbahnen verhindern können. Dies wurde uns auch durch einen Segelmacher bestätigt.
Doch auch wenn wir von einem Stoffzelt ausgehen, treten Probleme auf: Für unsere Stoffe müssen wir auf Baumwolle oder Leinen zurückgreifen, die maschinell hergestellt worden sind. Diese Qualität gab es damals noch nicht. Antike Stoffe hätten dem Zug nicht standgehalten, wären sie wie heute direkt an den Heringen befestigt worden.
Aus diesem Grund sind wir der Meinung, dass ein Netz mit Zugrollen diesem Problem gut entgegenwirken könnte. In unserer Rekonstruktion ist das Netz das tragende Element, das Gerüst. Nur das Netz wird gespannt. Der Stoff wird lediglich über das Netz gelegt. Auf diese Weise wird das charakteristische Rechteckmuster aussen am Zelt ersichtlich (siehe Trajansäule) und der Stoff wird andererseits nicht durch Zug belastet. Der dicke Segelstoff unserer Rekonstruktion besteht aus einem Hanf- Leinengemisch und wird sonst für Hochseesegelschiffe verwendet. Der Stoff ist absolut wasserdicht, da sich das Material bei Nässe ausdehnt und so verdichtet. Die Seile des Netzes bestehen aus Hanf. Netz und Zelt dehnen und entspannen sich bei Nässe und Trockenheit unterschiedlich. Darum darf das Netz nur an neuralgischen Punkten mit dem Stoff verbunden werden.
Ein unbeabsichtigter Effekt bietet sich im Innern des Zeltes. An den Netzverstrebungen kann man nun Alltagsgegenstände aufhängen. Wenn man das Zelt am Schluss zusammenrollt und verschnürt, ergibt sich ein grosser Ballen, der denen auf der Trajanssäule (Verladen von grossen Ballen auf Schiffe und Booten) sehr ähnelt.
Zusammenfassend kann man festhalten, dass aufgrund der aktuellen Fundlage Zelte aus Stoff nicht ausgeschlossen werden können. Wahrscheinlicher ist es, dass beide Varianten im Gebrauch waren – herkömmliche Lederzelte und Stoffzelte in Verbindung mit einem einfachen Netz-Zugrollen-System.